Ich will behindert sein dürfen

Ein grauenhaftes Zeichen für eine zerstörerische Verantwortungsschwäche in Gesellschaft und Politik.

„Schaut in meine Augen, wie ich das Leben liebe“

RollOn Austria 16

Mit großer Aufmerksamkeit und sorgenvoller Betroffenheit verfolge ich die neu aufgenommene und gerade laufende Grundsatz-Diskussion um Abtreibung und Spätabtreibung bei Menschen mit Behinderung. Persönlich betrachte ich die Dauer-Thematik „Abtreibung“ seit Jahrzehnten als eine offene Wunde und als Zeichen für eine zerstörerische Verantwortungsschwäche in Gesellschaft und Politik.

Selbst-bewusst, trotz so mancher Verzweiflung, habe ich mich stets als behinderter Mensch definiert. Ich lasse mich auf keinem Fall nicht von einem von Zeitgeist und Wirtschaft aufgestellten Ideal von Fitness, unversehrter Schönheit und dynamischer Jugendlichkeit bestimmen.

Als behinderter Mensch will ich behindert sein dürfen.

Dabei verstehe ich mich nicht als Schadensfall der Medizin oder Randerscheinung der Gesellschaft, sondern als vollwertiger Mensch, dessen Persönlichkeit und das „Anders-Sein“ sichtbarer ist als bei sogenannten „gesunden“ Menschen. Der Unterschied besteht doch wesentlich darin, dass meine Begrenzungen offenbar und die der sogenannten „Gesunden“ oft verdeckt und verschwiegen werden.

In der oberflächlichen, Panik machenden Definition was das Thema Behinderung betrifft, liegen vernichtende Bewertungen, die zur Grundlage für Abtreibungsentscheidungen dienen.

Und da kommt mehr mit ins Spiel als Ideologie oder religiös motivierter Widerstand. Es geht um die Existenz von Menschen – nicht um ein billiges Eigentumsrecht am eigenen Körper und nicht um anonymisierte, vernachlässigbare Zellhaufen. Es geht um unser Mensch-Sein - in Achtsamkeit, Würde und Respekt.

Freilich ist es einfacher, wenn das Bitten und Danken, das Angewiesen-Sein auf Hilfe und der menschliche Aufwand, sowie die Kosten für ein behindertes Leben verschwinden. Dass mit solchen gesellschaftlich-medizinischen Radieraktionen das Leben im Miteinander besser wird, wage ich mehr als zu bezweifeln!
Die angebliche Freiheit, die viele Frauen in der Selbstbestimmung über Tod und Leben in der Schwangerschaft sehen wollen, ist begleitet von dem zunehmenden Druck, dass ein behindertes Leben unbedingt weggemacht gehört.

Die Diskussionen, ob Menschen mit Behinderung überhaupt auf die Welt kommen sollten bzw. ob sie für die Gesellschaft leistbar sind, ist eine arrogante, oberflächliche und grausame Tatsache.

„Außerdem wäre es höchst an der Zeit liebe Leute, umzudenken und die Präpotenz abzulegen, zu glauben, dass man über das Sein oder Nichtsein eines Menschen abstimmen kann.“

Marianne Hengl, Obfrau von RollOn Austria