Eine Gleichberechtigung die es de facto nicht gibt
Insbesondere am Internationalen Tag der Frau wird der Begriff Gleichberechtigung viel bemüht. Doch es gibt wesentlich mehr Lebensbereiche als jene zwischen Mann und Frau, in welchen dieses Recht zu kurz kommt. RollOn-Obfrau Marianne Hengl und ihr Patenkind Melanie Neisen haben sich unter anderem darüber unterhalten.
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„Wir sind alle gleich?
Diese Utopie löst sich mit dem echten Leben auf, denn gleiches Recht und gleiche Würde für alle mag auf dem Papier und auf Plakaten gut aussehen – in der Realität gibt es beides de facto nicht. Zumindest wird es nicht jedem von uns automatisch zugestanden,“ so die Erfahung von RollOn-Obfrau Marianne Hengl. Eine Frau wie Melanie Neisen kann ein Lied davon singen. Ein streckenweise trauriges, aber gleichermaßen auch schönes und immens ermutigendes.
Über das Hinnehmen.
Melanie wurde vor 35 Jahren geboren. Damals begann die Ungleichheit. Ihr Gehirn wurde bei der Geburt nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt, die Folge: spastische Tetraplegie. Konkret bedeutet das, dass Melanie unter anderem starke Bewegungseinschränkungen an Armen und Beinen hat. An ihre ersten sechs Kindheitsjahre hat sie dennoch nur positive Erinnerungen, denn ihre Mutter unterstützte und förderte sie mit bedingungsloser Liebe. Erst im Alter von etwa 9 Jahren wurde dem Mädchen das erste Mal bewusst, dass sie nicht gleich war wie die anderen Kinder. Was für alle anderen Alltag und normal war, war für Melanie immer schon unmöglich.
„Es geht dabei nicht nur um all die vielen besonderen Dinge, die wir nicht tun können, sondern vor allem um die alltäglichen, über die sich „sogenannte“ gesunde Menschen keinen Augenblick Gedanken machen“, sagt Marianne Hengl. Der Weg zur Toilette. Körperhygiene. Essen. Mal spontan einen Ausflug machen. Eine Chipstüte aufmachen. Nichts davon kann Melanie allein tun. „Wenn meine persönlichen Assistenten nicht hier sind, muss ich eben eine Windel tragen. Ich kann allein nicht zur Toilette“, sagt Melanie. Muss man über solch banalen Dinge reden? Ja. Denn banal sind sie nur für jene, für die sie keine unüberwindbaren Hürden darstellen. Und Gleichberechtigung fängt eben nicht beim Gehaltsscheck an, sondern bereits bei jenen Dingen, die im Alltag bedeutend sind.
Die Möglich-Macher.
Damit genau diese Dinge und ein selbstbestimmtes Leben überhaupt möglich werden, braucht es Menschen und finanzielle Mittel, die sie möglich machen. Melanie und ihr Mann Christoph, der dieselbe Behinderung wie seine Frau hat, haben derzeit sechs persönliche Assistenten, die das Paar in ihrem gesamten Alltag unterstützen – vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Doch sie suchen dringend nach weiteren Assistenten, denn nur so kann ihr selbstbestimmtes Leben funktionieren.
Seit fünf Jahren sind die Beiden verheiratet. „Damit hat sich mein sehnsüchtigster Traum erfüllt, denn so einen liebevollen und einfühlsamen Menschen wie Christoph findet man selten.“
Ihre Hochzeit, an die sich Patentante Marianne Hengl liebend gern zurückerinnert, verlieh nicht nur dieser einzigartigen Liebe Ausdruck, sondern auch all jenen Dingen, die für jede andere Frau nichts Besonderes darstellt: Wie steckt man einander die Ringe an, wenn die eigenen Hände es nicht können? Und wie fühlen sich Flitterwochen an, die man eben nicht allein verbringen kann? Für alles haben die Beiden eine Lösung gefunden – und zwar keinen Kompromiss, sondern ihren eigenen Weg. Denn die selbstverständliche Normalität von sogenannten gesunden Menschen kann nie ihre sein – also schaffen sie sich ihre eigene. Und darin liegt wahre Stärke und ein unbeschreiblich großer Mut.